Aufbruch und Ankunft

Wie schnell kann man eine Wohnung leer räumen, die man fünfzehn Jahre bewohnt hat? Ich machte mir darum keine großen Sorgen und fing an. Doch die Dinge verwickelten sich, bildeten Haufen hier, die ich vorsichtig überstieg, Türme dort, an denen ich mich vorbei schlängeln mußte. Große Müllsäcke verstopften bald die Container im Hof. Nur das Wichtigste mitnehmen, klar. Und was war das jeweils? Während sich Kaschi und Eric Fotografien aussuchten, die sie behalten wollten, erzählte ich ihnen, wie ein berühmter amerikanische Fotograf einst mit einer Bohrmaschine auf Stapeln seiner Fotografien kniete, um sie zu durchbohren und sie so wie Geldbündel zu entwerten, nachdem er seine sämtlichen Negative verkauft hatte. Am nächsten Morgen stand eine Nachbarin vom gegenüberliegenden Seitenflügel mit in der Schürze vergrabenen Händen am Tor zur Straße auf Wacht. Schließlich am Nachmittag des dritten Tages konnten wir den Transporter mit den Kartons und Wäschebündeln beladen, die Oliver wochenlang akribisch vorbereitet hatte. Es gab sogar eine Skizze, in welcher Reihenfolge alles aufzuladen sei. Als ich schließlich daran ging, die Seitentür und die Heckklappe vorsichtig zu schließen, wies Carsten auf das Gewürzschränkchen, das unschuldig am Bordstein lag. Nachdem ich einmal wie zufällig mit dem Fuß dagegen getreten und es verdächtig klappern hörte hatte, ließ ichs liegen. „Das muß auch mit.“

„Dann mußt du fahren, ich nehms nicht mit!“

„Hat Oli gesagt, machs mit ihm aus.“

„Gut, mach ich. Brings wieder rein.“ Er nahm es, trug es rein und sagte, wobei sein Gesicht nicht mal den Schatten eines Grinsens zierte:

„Wollt dich nur nochmal wütend sehn.“

Straßen, allzu bekannte, leer von Menschen, wimmelnd von Dingen, Lichtern und hastenden Schattenwesen. Wie war ich all dem überdrüssig. Autobahnen, wie oft gefahren, von Westberlin nach „Immer-noch-Deutschland“ und zurück, mit dem guten alten Witz im Sinn über das stupide Geraune der DDR- Grenzer: „Hamse Waffen, Funkgeräte, Munition?“ und der sächsisch intonierten Gegenfrage: „Nee, wieso? Brauch man das hier?“

Überraschend unwirkliches Licht überm Fläming, hellviolette Wolkenwirbel. Kam vor Begeisterung auf Abfahrten leicht ins Schlingern, das Auto war in alle Richtungen vollgestopft, die Blattfedern an den Achsen standen waagrecht. Hatte mir eine besondere Strecke ausgesucht, irgendwo bei Karlsruhe im Autobahngewühl eine kleine Schräge rüber nach Freiburg-Freiburg, schon bin ich in Frankreich. Kurz vor Mitternacht nahm ich eine falsche Abfahrt, links Felder, vor mir Wald. Fuhr um eine Kurve. Auf der anderen Fahrbahn kam mir langsam ein Polizeiauto entgegen, wendete hinter mir abrupt, blieb zunächst auf gleichem Abstand, so langsam ich auch fuhr, schaltete alsbald Blaulicht an, überholte und stoppte mich. Ein Uniformierter setzte sich feierlich die Mütze auf, kam gemessenen Schritts nach vorn und blendete mich mit einer starken Taschenlampe. „Ausweis, Führerschein, Fahrzeugpapiere.“ Ging ums Auto herum, ich stieg aus und folgte ihm, da sah ich seine Kollegin mit der Pistole in ihren zwei Händen ein Stück hinter dem Auto mit ernstem Gesicht stehen. Mit ebenso ernstem Gesicht schob sie den Sicherungshebel nach oben, nachdem sie mich betrachtet hatte und steckte die Waffe umständlich ins Futteral zurück. Zu zweit leuchteten sie in alle Fenster, betrachteten die Kartons, den Vergrößerer, Fotoschalen, gingen etwas in die Hocke und leuchteten auf die Blattfedern: „Ist wohl etwas überladen, was?“

„Bisher gings ganz gut.“

„Und von woher?“

„Von Berlin.“ Und dann mit einem Ich-bin-ein-ganz-schlaues-Füchslein- Gesicht:

„Und wohin solls denn noch gehen?“

„Diese Frage muß und werde ich Ihnen wohl kaum beantworten. Aber könnten Sie mir sagen, wo ich hier gerade bin? Hab wohl die falsche Abfahrt erwischt.“

„Sie haben uns keine Auskunft gegeben, da geben wir Ihnen auch keine.“ Der war ja richtig beleidigt. Damit überreichte er mir die Papiere, tippte an den Mützenschirm, sie stiegen in ihre Dienstkiste, deren blaues Licht noch immer durch die Nacht kreiste, ließen die Türen schwungvoll ins Schloß fallen und rauschten mit scharfer Wendung davon.

Also wieder zurück auf die Autobahn. Im Anfahren griff ich nochmal in die Innentasche, wohin ich die Papiere gesteckt hatte. Was war das? Die Zulassung weg! Die haben die doch nicht etwa behalten? Vor nicht allzu langer Zeit war mir das im Anhaltinischen schon passiert. Nach Wochen kam dann ein Brief von der dortigen Polizeistation, ohne Kommentar. Wird das jetzt Mode? Mal ein bißchen im Computer schnüffeln, kleine Schikanen. . . Jetzt hätte Kaschi mich mal sehen sollen. Zornig fuhr ich nach Karlsruhe zum Hauptbahnhof, um die dortige Polizeiwache zu stürmen. Eine steile Treppe hinauf, eine Klingel etwas zu lange gedrückt, schon stand ich zwischen lamentierenden Betrunkenen und grell geschminkten und, nun ja – seltsam gekleideten Frauen. Mein Schwung war gebremst, eigentlich war das ein Ort zum Verweilen. Schon ruhiger erklärte ich dem älteren Herrn hinterm Tresen, was mich hergeführt hatte. Betroffen und etwas ungläubig sah er mich an:

„Die Zulassung, wirklich, sind sie sicher?“

„Klar, schauen sie!“ und wies die Fahrerlaubnis vor. Er schrieb sich Ort und Uhrzeit auf, ließ sich die Kollegen beschreiben und fing an zu telefonieren. Plötzlich schaute ich fassungslos auf meine Hand. Da war sie ja! Sie hatte mit der Fahrerlaubnis zusammengeklebt. „Halt, halt, alles zurück!“ Unter tausend Entschuldigungen verließ ich das Lokal, den erheiterten Polizisten und die üblichen Klienten. Bloß weg hier, bevor ich noch ganz irre werde. Bald darauf war ich in Freiburg, fuhr eine gerade Straße entlang, stellte fest, daß ich noch nach Breisgau mußte, sah hinter der Rheinbrücke so etwas wie eine Grenze, französische Namen auf unbeleuchteten Tafeln und war auf einer anderen Seite. Keine Straßenlaternen, kaum Verkehr, Frankreich schlief. Sah Sterne am weiten, dunklen Himmel über der von Pappeln gesäumten Landstraße, einen gelben Mond am Horizont, kurbelte das Fenster runter und atmete tief. Mein nächstes Ziel war Colmar, wo ich übernachten wollte, obwohl ich noch keine Müdigkeit verspürte. Wie lange schon hatte ich den Isenheimer Altar sehen wollen, jenes überwältigende Altarbild des berühmter Malers, der in Wahrheit unbekannt geblieben, und das er für vom „heiligen Feuer“, den Mutterkornpilzbrand Befallene, gemalt hatte. Colmar bei Nacht. Stellte das Auto am Rand der Altstadt ab und spazierte Stunden lang durch die Gassen, zwischen alten, restaurierten Gebäuden, die Giebelseiten als Gesicht der Straße zugewandt, betrachtete kunstvoll handgemalte Ladenschilder, Menschen und ihre Geschichten phantasierend, bis der wirkliche Backgeruch aus einer Bäckerei mir den Traum des Bäckerjungen und Müdigkeit bescherte. Hatte eine recht klare Vorstellung, wo das Auto abgestellt war und mir einige Wegpunkte gemerkt, mußte aber erstaunt feststellen, wie geschickt die Stadtarchitektur früherer Zeiten dem Zeitgefühl und damit dem Gefühl ihres Verlustes entgegenwirkt hatte. Lief und irrte bald durch die gewundenen und verschlungenen Gassen, mich zuweilen lustvoll der Verwirrung überlassend, bald wieder energisch, auch beunruhigt, einen Ausgang suchend. Denn irgendwo an jener Grenze zur toten Urbanität, zur Moderne, hatte ich das Auto verlassen. Mich erinnernd, daß ich schon ähnliches erlebt hatte, in einem Wald allerdings, in Polen, da ich zu verschiedenen Zeiten dem gewundenen Lauf eines Baches zu begegnen und dann zu folgen meinte und an jeweils ganz andere Orte gelangte, wobei er sich viel später als sein eigener Zwilling erwies. Ich mußte erst die Grenze zur Neuzeit hinter mir lassen, um ohne nachzudenken plötzlich vor jenem Fahrzeug zu stehen, das ich nach Stunden freiwilligen Wanderns und weitere unfreiwillige Stunden vergeblich gesucht. Was ich als Grenze zur Altstadt aufgefaßt, als ich aufbrach, lag danach von innen gesehen als Grenze vom Alten zum Neuen schon viel weiter vorher. An jener Zwischenzone, wo ich noch in der Gasse stand, die grauen, eckigen Klötze aber schon herüber glotzten, war ich jedesmal zu früh umgekehrt. Wußte jetzt immerhin, wo ich am nächsten Morgen den Isenheimer Altar finden würde. Ungewaschen und ungekämmt, von belustigten Schülerinnenblicken gefolgt, näherte ich mich in hellem Sonnenschein ehrfurchtsvoll dem Ereignis, das in keiner Weise enttäuschte. Eine halbe Stunde nach Eröffnung des Museums wischte eine Putzfrau steinernen Gesichts den Boden unter dem Altar, gerade unter dem von Pfeilen durchbohrten und Gekreuzigten irritierend intensiv. Gestern erst gefoltert, wurden heute die roten Fliesen von seinem Blut gereinigt. Die Welt war wieder im Lot, und so konnte auch ich, wiewohl nachdenklich, die Fahrt wieder aufnehmen. Hatte mir die Südroute ausgesucht, folglich waren die nächsten Stationen Mulhouse, Besançon, Lyon. Noch war es früh am Tag und sonnig, die Alsace, die ich durchfuhr, bergig und nicht ohne Reiz. Bislang kannte ich unter diesem Namen nur billige Weine. Dijon war nicht weit, ah, der scharfe Senf. Sah jetzt Felder, Waldstücke, Wiesen, kleine Orte dazwischen. Dann sah ich zum ersten Mal im Leben so deutlich, daß es mir unvergeßlich wurde, ein Stück frisch aufgebrochener Erde. Dunkel und von violettem Schimmer, da sie sich erwartungsvoll atmend der Luft und dem Himmel öffnete. Ein weißer Hauch schwebte über ihr langsam auf. Der Bahn folgend sah ich von den Städten, wo ich sie streifte, lediglich ihre düsteren Rückseiten. „Wahrheit ist Schönheit“ hat mal vor Zeiten ein zu früh verstorbener Freund gesagt. Suche, Seele, suche. Nach Lyon füllte sich die Autobahn. Ah ja, es war ja Freitag, man fuhr ans Meer, sozusagen. Wie zielstrebig die ziellos Hetzenden von den das Land durchschneidenden Bahnen aufeinander geführt werden. Nach Orange teilte sich der Blechwurm, der Hauptarm bog zur blauen Küste ab. Alte und neue Fiktionen, vereinigt euch! Danke und tschüß denn. Cevennen, euch grüß ich in erreichbarer Ferne. Nimes, Montpellier, ein steifer Wind kam auf, mit zunehmender Dunkelheit heftiger vom Meer her blasend. Bei Narbonne floh ich erschöpft auf einen weiträumigen Parkplatz. Seltsame Bäume hier. Schlafen. Windgerüttelt wachte ich immer wieder auf. Wenig besorgt, das Auto mit all dem wertvollen Krempel vollgestopft, war einfach zu schwer. Bei Sonnenaufgang fuhr ich weiter Richtung Toulouse. Jemandem aus meiner Generation kann bei diesem Namen schon mal ein Kalauer einfallen, Janis Joplins Zeilen nämlich: „Freedom is just another word for nothing left to loose“, die ich eine Weile vor mich hin sang. Hatte gedacht, die Pyrenäen würden den Wind etwas abfangen und sah mich im Irrtum. Sie wirkten eher als Korridor, der Wind war stetig und unwahrscheinlich heftig. Bisher kannte ich den Mistral nur als Kneipennamen. Fünf Stufen hinunter, die Tür aufgestoßen und man war in einer anderen Welt, wo sich Ost-und West-Immigranten trafen. Die kantigen Felsstürze und Schneegipfel der Pyrenäen im Vormittagslicht zu meiner Linken kamen näher, rückten wieder ferner. Tarbes, Pau, karge Namen, doch die Landschaft nicht. Wir waren im März, doch die Gärten waren schon voller Blumen. Der Wind ließ zeitweise nach, das heißt, er wurde böig. Bayonne, endlich die Grenze. Ein Soldat mit Maschinenpistole, die ihm zur Seite baumelte, zog angeödet eine dicke Stahldornen-Schlange in den Weg, andere standen im Halbkreis hinter ihm. Ich wurde kurz gemustert, dann wurde die Schlange auf einen Wink im Zeitlupentempo beiseite gezogen. Fuhr in vorsichtigem Bogen daran vorbei, bis mich ein anderer Uniformierter mit erhobener Hand anhielt. Zoll. Ob ich was anzumelden hätte, mit Blick auf den vollgestopften Innenraum. Nein, das ist alles privat, ich fahre die Sachen für einen Freund, der umzieht. Aha, so. Grinsen. Er zeigt nach hinten. Nichts zu verzollen also? Nein. Hmm. Dann sieht er sich kurz um, spricht leise und schnell. Verstehe nur Café. Café? Café, ja?

Er nickt, nuschelt wieder etwas, das ich nicht verstehe. Gibt es hier denn ein Café? Wo? Ich sehe mich um. Egal, er wird es schon wissen. Laß uns einen Kaffee trinken gehen, gute Idee und will aussteigen. Da senken sich bitter enttäuscht die Wimpern, er sieht noch mal kurz aufs Nummernschild, winkt ab und mich weiter. Ein Deutscher, der offensichtlich das Einfachste nicht versteht, was für ein Pech. Fahre, winke ihm zu, lache ihn herzlich an, er gequält zurück, schon halb abgewandt. Muß auf den nächsten warten. Weiter, bergauf an den Ausläufern der Pyrenäen entlang, dann Berge zur Rechten und zur Linken zwischen Cantabrien und den Kordilleren, endlich hinunter nach Burgos, wo ich die Autobahn verließ Richtung Palencia. Endlich auch wußte, sah, fühlte ich, daß ich in Spanien war. Ein Land, so karg hier oben, daß mir unvermittelt Tränen in die Augen stiegen. Stell dir mal vor, dies wäre das Ende deiner Reise und hier solltest du nun leben. Der Himmel aber war weit, wenn auch voller Wolken, die eben mal kleine Schauer zur Erde fallen ließen. Auf eine steinige Erde von rostigem Braun, auf der weit und breit nur kurze, harte Büschel von Ginster mit garstigen Dornen und ich-weiß-nicht-was wachsen. Hatte die letzten Tage wenig geschlafen und fühlte mich jetzt dermaßen ausgeliefert, daß es nur eine Antwort gab: anhalten, aussteigen. Der Erde, der steinig-harten, begegnen, sie begehen. Wege gab es und brauchte es hier nicht, einfach in Richtung des sich abendwärts senkenden Lichts gehen, einen Hügel hinauf als einziger Landmarke und ich war mitten im Herzen der Kargheit gelandet. Bis zum Horizont und wohl weit darüber hinaus gab es nichts als immer das Gleiche. Wieso wuchs auf dieser verlassenen Erde einfach nichts? Auf dem Rückweg fand ich nur eine sinnvolle Erklärung. Stell dir mal vor, daß hier überall einmal Wald gewesen ist. Beraubte und verlassene Erde. In Palencia bog ich auf schmalere Straßen in Richtung Atlantikküste ab, bis ich auf eine neu erbaute Autobahn stieß, die ziemlich gerade nördlich zur Grenze nach Portugal entlangläuft. Schwer zu sagen, wer sich was dabei gedacht hat, Autos fuhren hier wenige. An einer überdimensionierten Raststätte hielt ich. Zwei Kellnerinnen für zwei besetzte Tische in dem großen Schuppen, aber was mir für heute den Rest gab, war ein Kerl, ein Riese von einem Mann mit scharfen, klaren Zügen und nach hinten geschobener Mütze, der vor, doch mehr noch unter einem Fernsehgerät zurückgelehnt halb saß, halb lag mit weit ausgestreckten Beinen und gebannt nach oben starrte. Blöde lächelnd sah er eine Schlagersendung. Verkroch mich bei leichtem Nieselregen ins Unwirtliche und schlief. Fuhr bei Sonnenaufgang weiter, mit der Kraft der Sonne im Rücken. Der Horizont zur Linken füllte sich allmählich mit Bergsilhouetten, auch in unmittelbarer Nähe der Autobahnschneise belebte sich die Landschaft. Dann kam eine Abfahrt in Richtung Chaves, der ersten portugiesischen Stadt hinter der Grenze, bog an der nächsten Kreuzung auf eine schmale Straße, sah mich inmitten grüner Berge, fuhr steile Windungen bergab und wieder hinauf, kam durch schlichte Dörfer, die im Glanz des Frühlichts lagen mit ihren Blumengärten und angrenzenden Wiesen. Es war die Zeit des Aufbruchs, Zeit der Aussaat. Mehr und mehr begegneten mir Bauern mit Eseln. Eine noch junge Frau und ihr vielleicht zwölfjähriger Sohn gingen ganz eingehüllt in eine stille Freude neben ihrem vor sich hin nickenden Grauen. Fuhr in Windungen auf kleinen Straßen weiter, bis ich nicht mehr wußte, ob Chaves über oder hinter mir lag. Traf auf jemanden in einem kleinen Lieferwagen, der mir vorausfahrend die Richtung wies. Verlassener Grenzübergang, die Stadt, soviel ich von ihr sah, öd wie eine für den Durchgangsverkehr geebnete und übernutzte Stadt nur eben sein kann. Dann gings in Serpentinen durch Wälder bergab, ja, und ich gestehs, schrie ein bißchen blöd vor Freude. Daß das Lenkrad nicht zerbrach, verwunderte mich kurz. Da und dort weiter, das war alles nicht mehr so wichtig, sah aber Berge mit Wäldern bis ich Porto erreichte, den Autobahnring, die Abfahrt nach Paranhos. Mußte nur einmal fragen, dann war ich vor dem Haus, wo Aju wohnte. Klingelte und mußte warten. Ein kleines Haus zwischen anderen, eher kleiner. Klingelte wieder, länger. Schlurfende Schritte zur Tür. Das konnte er doch nicht sein, oder? Das letzte Mal, als wir ihn sahen, war er ja schon ziemlich verpennt, aber so doch nicht, so schnell gealtert. Nein, er war es nicht, ein älterer Mann öffnete, ich fragte nach Aju, nannte seinen Namen, eine kleine dicke Blondierte erschien endlich aus dem Hintergrund, offensichtlich die Vermieterin. Sagte nochmal alles von vorn, da deutete sie mit einem Kopfnicken nach oben. Ging durch ein plüschiges Zimmer die Treppe nach oben und klopfte. Ja, jetzt war er es, mit rauer, verpennter Stimme: „Was, wer? Ach ja. Ich komme gleich.“ Ich war immerhin angekündigt, wenn auch nicht auf die Stunde genau. Ließ mich noch eine halbe Stunde warten, bis er sich erhob. Oli hatte ihm Geld geschickt, um eine Garage zum Unterstellen der Sachen zu mieten. Es gab sie nicht, aus tausend Gründen. Bei einer hätte es beinahe geklappt, aber die Leute sind übers Wochenende weggefahren. . . Es gäbe da aber noch was, nur müßten wir warten, weil der nie vor vier Uhr zu sprechen sei, und außerdem könne der ihn nicht leiden. . . Also um vier Uhr zu einer Pension. Aus dem Fenster im Hochparterre schaut eine Blondierte um die Vierzig grimmig auf uns herab. „Hast du der mal was getan?“

„Nee, natürlich nicht, ich kenne die gar nicht.“

„Was ist mit der?“

„Die sind hier so.“ Ich klingelte, Aju versteckte sich etwas hinter mir, wir warteten. Klingelte nochmals, und als ich schon gehen wollte, hörte ich Schritte auf der Treppe. Die Tür ging auf, ein Typ um die Vierzig, hager, mit langer dünner Mähne, die ihm kranzförmig um den Kopf stand und eine leichte Stirnglatze freigab, völlig verpennt und verpeilt stand vor mir. Ein Zimmer? Gab es. Bei der Frage nach dem Preis wachte er langsam auf. Er stammte aus Chaves, hatte lange in Frankreich gelebt, bis er das hier bekam. August. Markus traute sich aus meinem Schatten hervor und gab ihm vorsichtig die Hand. August musterte ihn mit Vogelaugen und fragte mich, ob wir Freunde seien. Ja, aber keine Sorge, er würde mich nur manchmal besuchen und für die Zeit, da ich nach Deutschland zurück müsse, nach den Sachen schauen. Bekam ein Mansardenzimmer, und wir schleppten die ganzen Klamotten über eine enge Stiege mit wackligem Geländer nach oben, wobei August uns immer mal wieder im Weg stand und jammerte: O je, noch mehr, ob denn das nicht zu schwer für den Fußboden wäre? Bricht das nicht durch? Schob ihn sanft aber bestimmt zur Seite, bezahlt war schließlich schon, übrigens von meinem Geld. Aju (aber sag Oli nichts) war schon wieder pleite. Ein sommerheißer Märztag, wir schwitzten, Aju gab alles und schleppte die letzte und schwerste Kiste taumelnd hinauf, ließ sie auf die viel zu weiche Matratze fallen, auf der sich die Sprungfedern abzeichneten. Duschen, Superbock trinken, der Tag (ein Samstag) war gelaufen. Am Sonntag ging ich in Foz die Promenade entlang zu jenem Café, von dem aus wir vor einem halben Jahr so oft aufs Meer geschaut hatten, auf die sinkende Sonne und die Möwen, die den Himmel einrollten, wie Oli sagte. Dann wurde ich noch einmal sanft von Vogelgezwitscher geweckt und fuhr zurück.

Von der Rückfahrt nur zwei Eindrücke. Ein Café in Galizien, wo Scharen von Fernfahrern zu halten pflegten um sich, noch nacht- und traumschwer, von einer carmengleichen Schönheit den Café reichen zu lassen, mit immer der gleichen Hoffnung auf einen ganz persönlichen Blick aus ihren schrägen schwarzen Augen, den kleinen Traum- Schock für den Tag. Es war seltsam still dort, die Luft gefüllt mit angehaltenem Atem.

In Frankreichs Süden, ich hatte die Strecke an Bordeaux vorbei gewählt, ein Wald, der von fern aussah wie von einem seltsamen Sturm geschüttelt, der eine Staubfahne über ihn wehte. Es war immer noch heiß und nahezu windstill. Was aber vorging, waren Maschinen, die drei, vier Meter hohe Kiefern um den Stamm packten und einen nach dem anderen nach kurzem Rütteln mit den Wurzeln ausrissen und zu Stapeln warfen.

 

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