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Der Klimawandel und wir

Nachdenken über das uns alle bedrohende Damoklesschwert

Lieber Utz, Erst heute habe ich Deinen Text gelesen und den anderen großen, "Jürgen Fuchs kam nie nach Polen".

Ich muss meine Bewunderung für Deine sorgfältige und der "Leichtsinnigkeit Dichter zu sein" verpflichteten Sprache nicht betonen, oder vielleicht doch.

Was das „politisch nicht gefallen angeht“: darum geht es nicht, aber eventuell um Einwände und andere, bzw. ergänzende Gedanken. Die betreffen keinesfalls die Kritik an der Denkfeigheit der Westdeutschen Linken, die sie mit der Empathie- Verweigerung der Mehrheit der eingemeindeten Deutschen, neuerdings mit dem absurden, entlarvenden Unwort „Biodeutsche“ etikettiert, parallel geschaltet hat. In Tat und Wahrheit ist jene Denkfaulheit auch nichts anderes als ideologisch grundierte (und so falschem Denken geschuldete) Empathie- Verweigerung. Ich hab das wohl schon einmal erzählt, wie ich im Ersten- Mai- Umzug 1981 einige Reihen vor mir eine Frau die taz- Doppelseite mit meinen Fotos aus Polen herausziehen und angewidert weit von sich werfen sah.

Die Kritik an Adam Michniks Idee, die an die Macht gekommene Opposition gleichsam nachträglich mit den Kommunisten zu versöhnen, teile ich anstandslos. Aber was steckte dahinter? Eine versuchte Rettung der kommunistischen Idee, diesmal gereinigt von Alleinherrschafts- Allüren, weil demokratisch eingebunden? Die versuchte Einbindung eines immer noch viralen und damit gefährlichen Macht- Überhangs? Ich weiß es nicht. Im Wikipedia- Eintrag Lech Wałęsa finde ich folgendes: Nach der Neuorganisation der PVAP als Sozialdemokratie der Republik Polen Ende Januar 1990 sah Wałęsa die Grundlage für die Kompromisse des „Runden Tisches“ nicht mehr gegeben und forderte Neuwahlen, da ja 65 % der Sejm-Abgeordneten nicht durch freie Wahlen legitimiert waren. Auch verlangte er den Rücktritt des Staatspräsidenten Jaruzelski, da dieser sich ebenfalls nicht auf ein demokratisches Votum stützen konnte. Doch Mazowiecki und seine Berater, darunter der Journalist Adam Michnik, fürchteten um die innenpolitische Stabilität, die in ihren Augen die Einbindung der früheren Kommunisten garantierte. Wałęsa erklärte ihnen daraufhin den „Krieg an der Spitze“. Er argumentierte, dass die Bevölkerung das harte Reformprogramm von der Plan- zur Marktwirtschaft nicht akzeptieren werde, wenn die politische Führung nicht  vollständig demokratisch legitimiert sei.[7] Doch auf jedem Fall hat Michnik wohl die Kommunisten, das, was von ihnen geblieben und aus ihnen geworden war, falsch eingeschätzt. Sie hatten in den Jahrzehnten, in denen sie an der Macht waren, keinerlei Erfahrung in Konfliktmagement, im Austarieren und Lösen von sozialen Konflikten sammeln können, die komischerweise im autokratischen Sozialismus immer zugleich heftige politische Konflikte sind. Als sie einmal dazu gezwungen worden waren, es irgendwie zu versuchen, im August 1980, wurde ihre Macht sofort grundsätzlich erschüttert und fiel in einem Zeitraum von zehn Jahren in sich zusammen. Zweifellos für sie eine traumatische Erfahrung, die keine Zeit heilen kann. 

Ironisch finde ich, dass die heutigen rechten, ebenso rechthaberischen Machthaber, den „Kommunisten“, die sie als Schreckgestalten vor sich hertragen, in vielem gleichen. Parallelen zur AfD fallen da auf. Und beim Nachdenken über historische Fallen und Wiederholungs- Schemata (ich wusste zuvor nicht, dass ich darin mit ihm übereinstimme: Adam Michnik "hat die Kernüberzeugung ... dass Geschichte nicht nur Vergangenheit ist, weil sie sich ständig wiederholt und eben nicht als Farce, wie Marx dachte, sondern als sich selbst"Paul Wilson.) fiel mir ein, dass vor der Machtergreifung Hitlers in Polen bereits eine Diktatur herrschte. Wie Du weißt, besuchte ich Helga Novak bis zum Jahr 2000 regelmäßig in ihrem polnischen Domizil. Sie wies mich bei einem meiner letzten Besuche darauf hin, dass es Propagandisten extrem rechter Ideologie in ihrer Gegend gab, ihr wichtigster Vertreter war der örtliche Postbote. Ich hatte ihn gleich am Anfang meiner Reisen nach Legbąd besucht und fotografiert. Er wohnte mit seiner liebenswerten Frau und ihren drei Söhnen in einem schlichten Holzhaus. Es war Sommer, vor dem Eingang wehte eine weiße Gardine, die Jungs lagen Mittags im Bett. Jetzt "war er jemand", hatte "die rote Pille" geschluckt (Matrix, den totalen Durchblick) und sich sichtlich verändert, sein Gesicht war hart und abweisend geworden.

Faschismus wächst so lange von unten, bis er bei passender Gelegenheit von oben eingesetzt wird B.My.

Heute sind wir nicht vom Kommunismus bedroht, sondern vom Populismus und der Fremdenfeindlichkeit.
Adam Michnik

Was heute Populismus genannt wird, ist embryonaler Faschismus. Zusammen mit dem populistisch geleugnetem oder fatalistisch als unabwendbar (sowieso zu spät) durchgewunkenen Klimawandel rollt ein politisch- ökologischer Tsunami auf uns zu, dessen Antriebskräfte sich offensichtlich gegenseitig verstärken. 

Jürgen Fuchs 1970:

 

Ruf ich zu euch:

In mode wird kommen gelb

Die gelbe landschaft

Mit asche gedüngt

 

Wenn nicht 

Solche Weitsicht ist einem Hoschsensiblen möglich, wenn alle Ingredienzien bereits angemischt sind. Systemische Horizontverengung, geistiger Autobahnbau ("wer abweicht, dem drohen die Bäume", J.F.), verschärfte soziale Kontrolle bei gleichzeitigem umfassenden Kontrollverlust in den entscheidenden Lebensfragen. Der halbe Systemwechsel hat daran nicht nur nichts geändert, wie manche, auch ich gehofft hatten, sondern einfach die Bremsen gelöst. "Der Osten verwestlicht, der Westen veröstlicht", dieses Bonmot von Lutz Rathenow darf ernst genommen und um den Süden erweitert werden. 

Zwei Anmerkungen zum Klimawandel:
1.Vor vielleicht fünf Jahren hatte ich einen kurzen Wortaustausch per Facebook mit Siegfried Reiprich (Mitbegründer des Lyrik- Zirkels in Jena) zu diesem Thema. Er bezweifelte, dass er menschengemacht sei, verursacht durch die ökonomischen Revolutionen mit der sie bedingenden wie vorantreibenden exzessiv steigenden Energieerzeugung mittels Verbrennung fossiler Brennstoffe. CO2 als chemischer Indikator und eines der wichtigsten Gase im Treibhausgas- Gemisch kam für ihn nicht in Betracht. Ich war erstaunt, denn er war ausgebildeter Wissenschaftler, Physiker, und als solcher ein halbes Jahr in der Antarktis stationiert, in jener Antarktis, die neben der Arktis ein Haupt- Ereignisplatz des sich über die
worstcase-scenario- Voraussagen des IPCC hinaus beschleunigenden Klimawandels. 
2. Mitte der achtziger Jahre war dieses Thema zumindest als Begriff in meinem Bewusstseins- Horizont angekommen und auf der Wichtigkeits- Skala nach oben gerückt. Allerdings hatte ich noch keine wissenschaftlichen Analysen und Berichte gelesen (im Unterschied zu den jugendlichen Mahnern heute). Mein Wissen war eher trivial, nicht einmal auf dem Stand des Berichts des "Club of Rom" über die Grenzen des Wachstums von 1972. Ich wohnte damals am Chamisso- Platz in Kreuzberg, wo ich in einer ehemaligen Fleischerei eine Dunkelkammer betrieb, die mir viel inneres Licht spenden sollte. Ich erinnere ein Stunde, in der ich in meinem Sessel saß, aus dem Schaufenster auf das abendliche Treiben auf den Platz mit den im Sand spielenden Kindern sah und dachte: Wenn der Klimawandel wirklich existiert, dann impliziert dies, das alles, unsere gesamte Lebensweise, angefangen bei Ökonomie, einschließlich Produktionsweise, Konsum bis hin zu Kultur infrage steht. Genau wie bei der kommunistischen Idee, und das bedeutet doch wohl, dass dieses Thema als Substitut für totalitäres Denken dient. Und so schob ich es beiseite, verwies es auf meiner Richterskala für die Bereitschaft, mich erschüttern zu lassen, weit nach unten. Ich denke, dass viele, die traumatische Erlebnisse mit totalitären Systemen gemacht haben, ähnlich denken, bzw. empfinden. Erst meine Reisen nach Somalia, Bangladesch und Indien haben mich eines Besseren belehrt. Ich wurde dort Zeuge von kontinentalen und sub-kontinentalen Klimawandel- Folgen. Als ich mich im Sommer 1992 zu meiner ersten Reise nach Somalia entschloss, hieß es in den ersten Nachrichten im Deutschen Fernsehen über die dort grassierende Hungersnot, dass der lebenspendende Monsun bereits drei Jahre ausgeblieben war. Als ich in Mogadischu mit meinem Freund Mohammed vor seinem Haus saß, in dem ich zu bleiben eingeladen war, sagte er: "Es war wie eine Flut, sie kamen von überall her, ohne Ende", und er meinte die Verhungernden, die auf der verzweifelten Suche nach Nahrung hunderte Kilometer weit in die Städte wanderten. Mehrmals wurde ich Zeuge der inneren Abneigung von Einheimischen gegenüber Hungerflüchtlingen aus dem eigenen Land. (Mohammed gehörte nicht zu ihnen, er war überwältigt.) Als ich Jürgen davon berichtete und mit Fotos belegte, sagte er: "Das wusste ich noch nicht."
In Bangladesch wurde ich Zeuge von massiven Überschwemmungen und Wirbelstürmen, die tausende Menschenleben kosteten. Extreme Wetter- Ereignisse, die mit steigenden Temperaturen häufiger und heftiger werden.

Heute weiß ich, dass ich zuvor totalitär mit ubiquitär verwechselt hatte.

In Kaschmir wurde ich Zeuge der größten Truppenansammlung der Welt und massiver Menschenrechtsverletzungen, die ich in einigen Fällen dokumentieren konnte. Es gab Momente, in denen ich an meine eigene Vergangenheit zurück gebunden wurde. Einmal, als ich in der Stadt Sopor, in der ich eigentlich nicht sein durfte, aus dem Fenster blickte und hundert Meter entfernt auf einer Brücke einen bewaffneten Soldaten sah, der in meine Richtung schaute. Mich befiel die gleiche Angst wie auf den hölzernen Türmen in Westberlin, wenn ich über die Mauer schaute und mir gegenüber einen bewaffneten Posten sah, der sein Fernlas vor die Augen ob. In beiden Fällen wurde nicht auf mich angelegt. In der selben Stadt wurde ich in einer Gasse von Einheimischen angehalten, die mit mir sprechen wollten. Sie sprachen immer erregter auf mich ein, und ich war besorgt wegen möglicher Spitzel, fragte sie, ob es in der Nähe nicht einen Raum gäbe, in dem wir unbesorgt sprechen könnten. Ein anderes Mal war ich in einem abgelegenen Dorf zugegen, als die Familie, bei der ich zu Gast war, im Transistorradio die Nachricht hörte, daß ein Anführer der Aufständischen, der vor einiger Zeit seine Waffen niedergelegt hatte, vor der Bäckerei erschossen worden war, aus der er gekommen war. Die Intensität, mit der sie den Nachrichten folgten, die lautlose Anspannung, ebenso der danach einsetzende Sologesang, das kannte ich aus Osteuropa, diesmal in Urdu, unweit des Himalaja.

Vor drei Jahren war ich mit Teresa zu einer Konferenz in Porto eingeladen, die dem Thema Klimawandel gewidmet war. Ein Typ um die dreißig, der sich als Management- Berater vorstellte, hielt einen Vortrag, in dem er Tabellen zeigte, die detailliert und regional differenziert darstellten, welche Wirtschaftssektoren mit welchem Anteil zum Klimawandel beitragen. Sein Resümee: "Irgendwann, besser früher als später, werden wir unsere Art zu leben und zu wirtschaften ändern müssen. Niemand weiß, genau wann und niemand weiß genau wie, ob freiwillig oder gezwungenermaßen, einfach, weil die Umstände uns dazu zwingen werden. Aber dass wir sie ändern werden müssen, steht außer Frage." 

Jürgens WENN NICHT habe ich für mich als Bäume pflanzen umgesetzt. Meine Grundidee war, in Portugal eine grüne Mauer zu erschaffen, da der Klimawandel aus dem Süden, aus Afrika nach Europa kommt. Lasst uns unseren kleinen Höhenwahn, wie Jürgen sagte. Allerdings habe ich einen Bruder im Geiste gefunden, den bekannten Fotografen 
Sebastião Salgado. Erste Fotos von Ihm habe ich Anfang der neunziger Jahre in Ostberlin gesehen und fand sie interessant, aber nicht bedeutend. Das hat sich mit seinem Buch Arbeiter geändert. Wim Wenders hat einen großartigen Dokumentarfilm über ihn, seine Frau und ihr beider Werk gedreht, Das Salz der Erde, 2014. Denn ohne sie wäre er nicht so berühmt und erfolgreich geworden, und es war sie, die in ihrem französischem Wohnsitz begann, den Hang über ihrem Haus mit Bäume zu bepflanzen. Nachdem er ein Stück Land in Brasilien von seinem Vater geerbt hatte, das der durch Abholzung ökologisch völlig ruiniert hatte (eine erschütternde Szene im Film von Wenders, wo der Alte  von nackter Erde umgeben, spöttisch grinsend vor seinem traurig zusammengesunken dasitzendem Sohn schwadroniert), begannen sie mit umfassenden Baumanpflanzung- Aktionen. Jetzt steht dort wieder Wald und fließen Bäche. Klar, sie hatten Geld und waren berühmt, im Unterschied zu Teresa und mir. Doch das beginnt sich graduell zu ändern. Über Teresa und unsere Arbeit sind kürzlich zwei schöne Artikel in überregionalen Tageszeitungen erschienen und ein weiterer, in dem wir die anhaltenden illegalen Pflanzungen von Eukalyptus- Monokulturen
in der Serra da Freita anprangern (Sie tauschen einheimische Bäume für Eukalyptus)
Übrigens war Salgado Mitglied in der Kommunistischen Partei Frankreichs. Mein Spitzname im Jenaer Freundeskreis war Kommunisten- Bernd, was ich übertrieben fand, aber gegen Spitznamen begehrt man nicht auf. Das Gute daran, Dokumentarfotograf zu sein ist, sich auf das Wirkliche vor einem konzentrieren zu müssen, das überschreibt jede Ideologie und rückt sie zurecht. Bäume zu pflanzen ist in dieser Hinsicht noch krasser: wir leben dabei mit dem Rücken zur Welt und sind der Zukunft gewiss, die wir mit unseren Händen pflanzen. Manches davon bleibt unsichtbar, weil es unter der Erde oder in der Luft stattfindet und deshalb benannt werden muss: mit den Bäumen pflanzen wir Wasser und Sauerstoff. Auf einer unserer Pflanzungen auf der Hochebene, wo manche Bäume bereits die Höhe von zwei Metern erreicht haben, kommen die Vögel zurück. Oft erwartet uns dort ein Bussard auf einem der Pfosten stehend.


Die Kinder, die ich auf dem Chamissoplatz im Sand spielen sah, sind im Alter meiner Tochter, heute zwischen dreißig und vierzig Jahre alt. Deren Kinder sind im Alter unserer Enkel. Es geht um sie. 

Klimawissenschaftliche Zeittafel
Klimawissenschaftliche Zeittafel

Video Losing Earth: Wie wir die Erde fast vor dem Klimawandel gerettet hätten | Capriccio | BR

Der Schriftsteller Nathaniel Rich schildert in dem Essay "Losing Earth", wie Ende der 1970er Wissenschaftler und Politiker erstmals erkennen, dass sich die Erderwärmung desaströs beschleunigt. Fast kommt es danach zu einem weltweiten Klimaabkommen. Fast.


Harald Lesch ist wohl der interessanteste Wissenschaftler der Gegenwart, der sein Wissen zu popularisieren weiß, ohne jemals vulgär zu werden:

Klimawandel die Auswirkungen - von der Eiszeit zur Heißzeit

Auch der nächste Beitrag sitzt:

Das Kapitalozän



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