Naturgedichte
Ich habe ein gutes Leben gelebt. Ich lebte zur Zeit
der Bäume
(Paavo Haavikko)
Sensible Wege
Sensibel
ist die erde über den quellen: kein baum darf
gefällt, keine wurzel
gerodet werden
Die quellen könnten
versiegen
Wie viele bäume werden
gefällt, wie viele wurzeln
gerodet
in uns
GESPRÄCH MIT DER AMSEL
Ich klopfe bei der amsel
Sie
zuckt zusammen
Du? fragt sie
Ich sage: es ist still
Die Bäume
loben die lieder der raupen, sagt sie
Ich sage: . . . der raupen?
Raupen können nicht singen
Das macht nichts, sagt sie,
aber sie sind grün
NACHTMAHL AUF DEM ACKER
Wenn großvater am abend
Das kräutichfeuer schürte,
machte er die sterne,
die später über unseren köpfen standen
Wir erkannten sie wieder
Und der mond war ein armer bruder,
der zur sonne betteln ging
(manchmal bekam er etwas,
manchmal nicht)
Ich wußte noch nicht, daß der mond
Das vorweggenommene antlitz ist
Der erde
Ich war noch nicht adam,
und großvater ähnelte gott
Damals, als ich noch nicht vom himmel aß
TAGEBUCHBLATT 74
Für Karl Corino
1
Das waldsein kõnnte stattfinden
mit mir
(Nicht mehr bedroht sein von allen ãxten
Eine wasserader
unter den wurzeln)
2
Ich aber will nicht einstimmen
müssen
(Lieber immer neue äste treiben zu wehren
der axt
Lieber die wünschelruten der wurzeln
wieder und wieder verzweigen)
UNTER STERBENDEN BÄUMEN
Wir haben die erde gekränkt, sie nimmt
ihre wunder zurück
Wir, der wunder
eines
NATURGEDICHT
Die Dinge hören nur, wenn du sie rufst
bei ihrem wahren namen
Getäuscht sein will allein
der mensch
Er täuscht sich
aus der welt hinaus, die dinge
kennen kein verzeihn
DER HIMMEL
Schirm der schirme, geschmückt
mit vogelzügen
Stück für stück
trennen wir heraus
aus der blauen seide
SILBERDISTEL
Sich zuriickhalten
an der erde
Keinen schatten werfen
auf andere
Im schatten der anderen
leuchten
DER HOCHWALD ERZIEHT SEINE BÄUME
Der hochwald erzieht seine bäume
Sie des lichts entwöhnend, zwingt er sie,
all ihr grün in die kronen zu schicken
Die fähigkeit,
mit allen zweigen zu atmen,
das talent,
äste zu haben nur so aus freude,
verkümmern
Den Regen siebt er, vorbeugend
Der leidenschaft des durstes
Er läßt die bäume größer werden
wipfel an wipfel:
Keiner sieht mehr als der andere,
dem wind sagen alle das gleiche
ROTBLÄTTRIGE ALPENROSE
Was blühen muß, blüht
in geröll auch und gestein
und abseits jedes blicks
Jaroslav Seifert
ERDLAST
So wie der baum die krone
in der krone seiner wurzeln wiederholt
dort unten unter der erde,
die noch lange leben,
wenn der gefãllte baum gefallen ist,
bleibt nach dem tod vielleicht auch den menschen
ein wenig leben
dort unten unter der erde,
auf der sie standen und die arme ausbreiteten.
Doch wissen wir von dieser nacht schon nichts, oder
vielleicht nur das,
daß die farben, die von dort aus
in die blütenblãtter steigen,
schwarz sind,
und daß das wasser dort unten geschlossene augen hat.
Schwer fãllt's zu glauben, daß die toten sich erheben
und spazierengehen könnten unter der erdlast.
Aber was, wenn!
Gebt mir, wenn ich euch verlasse, einen stock,
sonst nichts.
Und vielleicht einen weißen.
Dort herrscht finsternis,
wie sie nur die blinden kennen,
und ich werde versuchen,
wenigstens über das gras euch wissen zu lassen,
wie der tod aussieht
diese sekunde,
auf die man ein leben lang wartet.
Einmal legte ich das ohr an die erde
und hõrte weinen.
Aber da weinte vielleicht nur das wasser,
das in der zwinge des brunnens gefangen war
und nicht zu den menschen wollte.
Nachdichtung Reiner Kunze
Oldřich Mikulaĉek
DER WALD
Ich liebe den wald,
weil er nicht viel spricht,
nicht einmal zu lebzeiten.
Nur manchmal lausch ich in der nacht
der blutigen fehde seiner kronen
mit dem erzürnten sturm,
und mit grauen stürzt,
stein oder nichtstein,
dann auch der bach.
Nach dem tod — nur baumstãmme —
leuchten sie mit den seelen verstorbener
und verwachsen mit dem hallimasch,
ihren kleinen waisen.
Sie duften, daß du dich hinknien
und das haupt zu diesen henkerstiicken neigen mußt,
um wenigstens etwas einzuatmen
vom schicksal derer, die
das ganze leben aufrecht stehen.
Nachdichtung Reiner Kunze
Vít Obrtel
DIE EICHE
Gabelig, umgeackert bis zum Himmel,
ist sie das nest der blitze.
An ihre ferse schmiegt sich
anspruchsloses moos.
Und dort, wo sie die last der erde
Ins schattige blattwerk hebt,
irrt eine müde biene.
Sie ist der anker der ebenen,
ein grenzstein der weiten,
in guten und bösen zeiten
ein zeichen der gastlichkeit
Auch das klopfen der amsel zeugt
Von kraft,
die den atem der feldarbeiter beschützt,
wenn sie ruhen.
Verheeren die kahlen fröste das land,
ist sie die antenne künftigen gesanges.
Nachdichtung Reiner Kunze
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