· 

Eine Nacht in Neu-Delhi

Neu-Delhi, März. Die Straßenränder Sandüberweht. Durchaus kein Versprechen, dass die Wüste in die Stadt zurückkehre oder ein Versprechen auf Strand. Sand. Er ist einfach da. Überall, bewegt wie verwehendes Erinnern. Was für ein Tag, ein Tag voller unsortierter Erinnerungen, bedrängender Eindrücke liegt hinter mir. Des Morgens der Slum in einer Häuserlücke mitten in Neu-Delhi, voller Menschen, Betten, Gestellen, Matratzen und Hausrat auf der Erde. Wie die Armen sich immer zusammendrängen und sich die Reichen vereinzeln. Freundlich wurde ich empfangen und umhergeführt. Wer verirrt sich schon hierher? Immer wieder werde ich daran erinnert, daß schlichte Aufmerksamkeit für die Not des anderen lindernd wirkt. Ich habe es selbst erfahren, und vielleicht ist das in dieser gott-toten Zeit Voraussetzung, an so einfache Gegebenheiten wirklich zu glauben. Ein Rikscha- Wallah sprach einige Brocken Englisch, und meine Mundharmonika half mit, zu kommunizieren. Der Abschied nach Stunden fiel schwer. Immer bleibt auch ein Gefühl von Ungenügen, dem nicht abzuhelfen ist. Danach irrte ich durch ein nahe gelegenes, völlig leergefegten Bankenviertel. Lediglich ein uralt Weiblein stand da, dürr, vor Himmel spottenden Glasfassaden auf dem Gehsteig und streckte wie erstarrt ihre Hände flehend, zu wem nur, hinauf. Ging nordwärts und betrat ein Restaurant am Wege. Zwei Männer standen Posten nahe dem Eingang, den Gästen zugewandt, die untere Gesichtshälfte von schwarzen Dreieck- Tüchern verdeckt, mit kurz Maschinenpistolen in den Händen. Der Betrieb ging weiter, niemand beachtete sie, und ich versuchte, es den anderen gleichzutun. Die Bewaffneten waren in Zivil und blickten stur geradeaus. Unmöglich festzustellen, ob sie jemanden fixierten. Besonders die unlösbar rätselhaften Situationen bleiben im Gedächtnis. Ich setzte meinen Weg fort.

Eine breite Ausfallstraße wurde von kleinen Bars und Restaurants gesäumt, um die späte Mittagsstunde voller Gäste, einige schon reichlich betrunken von einem weiß schäumenden Gebräu, das kräftige, sehr fremd wirkende Wirtinnen aus großen Kannen einschenkten. Habe das Getränk nicht ausprobiert, doch erinnere ich an eine junge Wirtin von außergewöhnlicher Schönheit und eine andere, wohl um die Vierzig, mit im Nacken verknotetem Kopftuch und einer kurzen Pfeife im Mundwinkel.

 Weiter entfernt, die Straße hinauf, sah ich auf einem Hügel eine Ansammlung weißer Häuser und erfuhr dort, dass es sich um eine Siedlung tibetischer Flüchtlinge handelt und die Bars ein erstes Willkommen, eine Ankündigung waren. Hier praktizierte ein Arzt, zu dem Menschen aus aller Welt kamen. Traf im Warteraum ein deutsches Paar, das seine Geheimrezepte zu schätzen wusste. Entlang der Wände seiner Praxis erstreckten sich Schränke voller kleiner Schubladen, alle beschriftet, und sie alle enthielten runde Pillen unterschiedlichster Komposition und Farbe. Doch war die Grundsubstanz immer gleich: Pferdemist. Sand übersäter Asphalt. Ich bin zurück am Ausgangspunkt, der Straße mit den billigen Hotels, den Ständen, an denen frisch gepresste Obstsäfte ausgeschenkt werden, Äpfel, Orangen, Granatäpfel, Mangroven, Mangos. Dort vorne sitzen zwei auf dem Bordstein mit Bierflaschen in der Hand. Es gehört zu den Eigenarten des Reisens, dass man sehr bald Fremde und Fremdes wiederzuerkennen, wenn auch nicht immer zu deuten lernt. Die beiden trinken. Sie sind schon betrunken. Einer von ihnen springt auf, und mit einem unsicheren Side-step fängt er wild gestikulierend zu streiten an, laut und verloren.

 Hallo, ihr seid aus Somalia! Schneller, aufmerksamer Blick von unten. Ja, warum? Ich war dort. Seid ihr Flüchtlinge, hier in Indien? Ja, wir sind Flüchtlinge. Und du warst dort? Wann? Aus der offenen Kneipentür gegenüber quellen schräge Töne. Da schrammt jemand auf einer ungestimmten Gitarre und singt dazu noch völlig falsch und hemmungslos einen alten Hippie-Scheiß. Helpless, helpless, helpless, helpless.

 

1992 und 1993. Das erste Mal in der Hunger- und Sterbezeit, das zweite Mal, als die Alliierten, die Truppen der Vereinten Nationen in Somalia waren. Beide stehen jetzt dicht vor mir. Ihr Streit ist zu einem hektischen Gespräch geworden, noch dazu in ihrer unglaublich sprudelnden Sprache. Da torkelt ein langhaariger Blonder aus der Kneipe, glasige Augen. Die Gitarre baumelt an einer Hand, nackter, hager Oberkörper, zweifellos der hilflose Sänger. Hey, friends! Zu wem will er jetzt? Noch ein kleiner Schwenk um die eigene Vertikalachse, strebt auf den zu, der zuerst aufgestanden war. Dessen Gesicht verfinstert sich schlagartig. Kennen wir uns? Fragt er und wendet sich um. Will er sie jetzt umarmen? Ich frage dich, ob du uns kennst.

Nein, nein. Aber da hagelt schon Ohrfeigen. Hey, was ist denn, warum?

Du kennst uns nicht und nennst uns Freunde. Sein Freund fällt ihm in den Arm, und der Blonde ist verschwunden. Du warst also in Somalia, wenden sie sich mir wieder zu. In meinem Hotelzimmer gibt es einen Ausstellungskatalog und eine Flasche indischen Rum. Mit Wasser verdünnt, ganz passabel. So verbringen wir also die Nacht in dem engen, fensterlosen Raum. Ich erzähle Ihnen von meinen Reisen, zeige Fotos. Das zweite Mal auf dem Weg nach Somalia hatte ich mich in Nairobi mit all den Straßenjungs angefreundet, die sich regelmäßig auf einem Markt trafen, nahe dem Hotel, wo ich abgestiegen war und da sie darum gebeten hatten, zeigte ich ihnen die Fotos. Sie rissen sie sich gegenseitig aus den Händen, und als eine weiße Krankenschwester vorüber eilte, hielt der Wortführer sie am Ärmel fest. Schwester, sehen Sie! Somalis, unsere Nachbarn. Gleich die nächste Tür.

Die Schwester warf nur einen kurzen Blick auf die ihr hingereichten Fotos und eilte mit einem Seufzer weiter.

Ich erinnere mich an den ersten somalischen Flüchtling, dem ich begegnete, ebenfalls in Nairobi, Mitarbeiter der deutschen Botschaft. Sein Großvater, so erzählte er damals, habe für die italienischen Kolonialherren gearbeitet, als Informant, eine Art Scout. Ohne ihn hätten die in Somalia nie Fuß fassen können, sagte er mit verlegenem Lächeln. Vorher schon sehr einflussreich, sei er von den Italienern reich belohnt worden. So gut wie alle Häuser in Mogadischu, die höher als zwei Stockwerke gewesen wären, hätten seiner, des Enkels Familie gehört. Von denen stehe mittlerweile so gut wie keins mehr. Als die Kämpfe gegen Siad Barre entschieden waren, der Diktator das Land verlassen hatte, gab es ungewohnte Tage der Stille in Mogadischu.

Er sei wie viele andere durch die zerstörte Stadt gelaufen und habe gesehen, dass die Kasernentore offenstanden. Und es habe viele Kasernen gegeben in Mogadischu. Die Soldaten waren geflohen, die Munitionsdepots aufgebrochen, Container über Container, alle randvoll, und jeder bediente sich. Es hätte an einen Ameisenbau erinnert, in dem die Puppen an einen anderen Ort gebracht werden. Er fing an, die Depots zu zählen. Als er bei 170 angekommen sei, hätte er damit wieder aufgehört. Denn ihm sei nun vollkommen klar gewesen, dass er das Land so schnell wie möglich verlassen müsse.

Und Ich hatte nur die Munitionsdepots über der Erde gesehen. Du weißt ja, die Größten sind immer unter der Erde.

 

Ich kenne diese Familie, den Namen weißt du nicht mehr? Fragte der einer meiner Gäste nachdenklich. Ich bin auch aus Mogadischu. Aber mich hat meine Familie schon am Anfang des Krieges ins Ausland geschickt. Dieser Kollaborateur hat Somalia sehr geschadet. Jedenfalls haben wir das so gesehen. Aber spielt das heute noch eine Rolle? Und wer am Ende den größten Schaden angerichtet hat, wer will das ermessen?

Vielleicht ist jenes palästinensische Terrorkommandos schuld, das die Passagiermaschine mit Namen Landshut entführte, um deutsche RAF- Gefangene freizupressen und die nach vielstündigem Irrflug Flug 1977 in Mogadischu landete. Das mag ein Witz sein. Aber nachdem Siad Barre die Erstürmung durch ein deutsches Sonderkommando erlaubt hatte, wurde er aus Dankbarkeit mit aller möglichen Hilfe überschüttet zuerst mit technischer: Wasserbrunnen, Autowerkstätten. Dann kamen die Waffen und Militärberater. Barre war auf den Geschmack gekommen.

Und da der Osten sich so vordrängte, kamen bald russische und kubanische Militärberater mit ihren Waffen. Die DDR wollte auch mitziehen, mein damaliges Heimatland. Fünfhunderttausend Handschellen hat sie spendiert. Tolle Leistung. Vielleicht von unseren Solidaritätsgroschen bezahlt, die wir jeden Monat abliefern mussten, wofür es bunte Marken ins Arbeitsbuch einzukleben gab, ohne dass wir erfuhren, wofür das Geld verwendet wurde. Landminen aus China, Pistolen und Plastiksprengstoff aus der Tschechoslowakei. Wer über die Schlachtfelder in Somalia ging, konnte Waffen und Munition aus aller Herren Länder finden.

 

Weiße, kleine, Wüstenpanzer fuhren in einer Reihe auf, Lkw, beladen mit Kisten und Kartons. Nach Stunden setzte sich die Karawane in Bewegung. Wir fuhren durch Kismayo, vorbei an schreienden, winkenden Kindern, an Frauen in bunten Gewändern, an weißen Mauern, von roten und violetten großen Blüten überwuchert, an Männern, die gelassen die Straßen entlang gingen. Diese Stadt war weit weniger zerstört als andere. Das extreme Licht unter wolkenlosem afrikanischem Äquatorhimmel. Nachdem wir die Stadt verlassen hatten, fuhren wir unter Akazien, die sich an den Rändern ihrer weit ausgebreiteten, lichtgefleckten Schirme berührten und deren langdornige Zweige uns peitschten, fuhren über Sandwege, eine rote Staubschleppe hinter uns herziehend. Vor uns endlos weites, flaches Land, voll dorniger Büsche und Akazien und vereinzelten, an Elefantenbeine erinnernde Baobab. Ich hatte völlig vergessen, weshalb ich hier war. Dies war, dies ist Afrika, und es ist atemberaubend schön. Ein von innen leuchtender Kristall, so wölbte sich der Himmel über uns und ließ ganz alte Worte in mir aufsteigen: Azur, Sphären, Firmament. Das Menschen vorzeiten einmal die Vorstellung von Kristallschalen hatten, wirkte hier ganz natürlich. Wie konnte man etwas anderes denken, wo es doch sichtbar war? Wie konnte man einen anderen Himmel überhaupt ertragen? Grau, bleiern, stinkend. Den ganz gewöhnlichen Himmel unserer Breiten. Nur, daß die Erde eine Scheibe sei, war allerdings unglaubwürdig, rundete sie sich doch sanft unter dem Himmelsgewölbe. Langsam zog die Sonne ihre Strahlen ein und leuchtendes, sich stetig vertiefendes Blau breitete sich von Nordosten her aus. Dann flammten die ersten Sterne auf. Ich trank die kühler werdende Luft und war berauscht, merkte nicht, wie mir dolchartige Dornen das Hemd zerrissen und die Haut ritzten.

Wir erreichten ein kleines Dorf. Die erste Ansiedlung, seit wir Kismayo verlassen hatten. Unter tiefstem Blau, von unglaublicher Leuchtkraft, übersät mit funkelnden Sternenlöchern. Ging die Reihe der Fahrzeuge entlang zu einem kleinen Haus, das Amtsstube und Lager des Dorfchefs gewesen war. Der belgische Kommandant fragte mich, ob ich hierbleiben wolle. Ja, warum nicht, war mein allzu lässige Antwort.

 

Dies ist, wie gesagt, meine zweite Reise nach Somalia. Und meine erste Station war Baidoa, wo ich mit einem amerikanischen Transportflugzeug in der Hauptstadt des Todes gelandet war. Gleißendes Licht der gerade aufgegangenen Sonne hatte mich empfangen, und ich sah ungläubig staunend dem Treiben einer amerikanischen Garnison zu, irgendwo im Süden der USA. Große, grau-grüne Platten waren weiträumig im Wüstensand ausgelegt worden, bildeten ihren eigenen Horizont. Jeeps mit geöffnetem Verdeck fuhren herum, deren Fahrer lässig die Ellbogen aus den Fenstern hängen ließen, grüne Zelte standen in Reihen, Tankwagen, Raketenwerfer.

Jemand wies mir den Weg zur Kommandantur. Ich stieß auf ein mit Plastikband abgesperrtes Areal, in dem einige Dutzend Somalis auf der Erde saßen, offenbar Gefangene. Immer neue Gefangene wurden herbeigeführt. Es genügte offensichtlich, sich in der Nähe der Garnison aufzuhalten, um als verdächtig zu gelten.

Auf der rechten Seite, etwas erhöht auf einem kleinen Hügel, standen zwei Bretterverschläge nebeneinander, in Brusthöhe bis zum Dach hin offen, deren Funktion mir vorerst rätselhaft blieb. Von Zeit zu Zeit ging ein Soldat oder Offizier hinein, sah eine Weile auf die Gefangenen hinunter und ging dann wieder. Unmittelbar an der Absperrung stand ein Uniformierter mit Schlapphut, ein Australier, eine schwere Maschinenpistole auf einen Gefangenen gerichtet, dabei seinen muskulösen Arm und eine Tätowierung sehen lassend, den Somali unablässig anbrüllend, roten Gesichts, die glasigen Augäpfel weit vorgewölbt. Der Gefangene verstand ihn nicht, und wenn er etwas sagte, verstand ihn der Uniformierte nicht, was dessen Wut erhöhte. Unbemerkt gelangte ich in Speichel-Tröpfchen-Nähe. Doch erst das zweite Klicken der Kamera holte ihn zurück und ließ ihn den Kopf wenden.

Eine Weile ließ ich ihn jetzt in meine Richtung schreien. Als der Somali wieder auf der Erde saß, ging ich freundlich nickend weiter. Und jetzt sah ich auch, was es mit dem Bretterverschlag auf sich hatte. Es waren die Scheißhäuser dieser Helden, die sich ein Vergnügen daraus machten, während ihrer Darmentleeungen auf die Gefangenen zu blicken. Die Stadt sei befriedet, ihre Bewohner entwaffnet, erfuhr ich in dem kleinen Steinhaus, das als Kommandantur diente. Ich könne gehen, wohin ich wolle. Es gebe doch ein Hotel weiter draußen. Die gefangenen Somalis seien aufgegriffen worden, um sie zu überprüfen. Verdächtige Personen gewissermaßen.

Am Himmel zogen dicke weiße Wolken, die sich schnell zusammenballten und in Abständen verdunkelten. Dann regnete dicke, weiche Tropfen herab, die sich gelegentlich zu schnüren verdichteten. Letzte Monsun- Schauer dieser Saison, doch von Sonne und einem leichten, frischen Wind gleich wieder getrocknet, war das bestes Wanderwetter. Aufatmend ließ sich die Garnison hinter mir, jene wuselig, lärmende Maschine, die vom Himmel in die Wüste gefallen war, um sich selbst zu entpacken. Mit allem, was darin gewartet hatte, den Jeeps und ihren lässigen Fahrern. Schicke Sonnenbrille auf der Nase oder in die Stirn geschoben, marschierenden Trupps, Fahnen, Zelten, schneidigen Offizieren, Tank- und Wasserwagen. Schweinen, die ständig rumbrüllen mussten, wo immer diese Maschinen abgeworfen wurde, sah sie gleich aus und ihre Insassen, weniger Maschinisten als ihre Teilchen, tat sie immer das Gleiche. Ich passierte eine Schranke, und ihre Posten sollte hier die Grenze zwischen Welt und Maschine markierten.

Einer dieser Grenzsoldaten, spähte schussbereit mit erhobenem Gewehr und aufgesetztem Zielfernrohr in die Fremde wie in Dunkelheit. Er bemerkte mich erst, als ich direkt hinter seinem Rücken stand. Vor mir öffnete sich eine Art Niemandsland. Ich war allein, und das ließ mich aufatmen, bevor ich zu Fuß in diese Stadt ging, deren Bewohner mir völlig unbekannt waren.

 

Obgleich ich vor einem halben Jahr in Begleitung Muhammads und zweier seiner Freunde für Stunden dort gewesen war, was für Stunden! Zwei Hilfsorganisationen unterhielten damals Center, die jedoch eher Sterbehöfen glichen. Das Internationale Rote Kreuz und Safe-The-Children Fund. Da war jener Hof mit der wachsenden Menge Hungernder, die immer unruhiger wurde. Denn die übliche Zeit der Nahrungsverteilung war längst überschritten.

Die angestellten somalischen Helferinnen entfachten hektisch Feuer in Eisenfässern an, in denen Reis und Bohnen gekocht werden sollten, um sie kurz darauf wieder zu löschen. Sie warteten lediglich auf den Tankwagen mit Trinkwasser. Doch wie sich herausstellte, hatte irgendjemand vergessen, ihn zu bestellen. Und so wurden Reis und Bohnen aus Säcken verteilt, je ein Becher in zittrig entfaltete Tuchfetzen oder zwei aufgefallene Hände.

Nie werde ich das orange gelbe Licht dieses Mittags vergessen, den zähen Staub in der Luft, die Schreie, die dunklen Reihen halbnackter Hungernder unter der brennenden Sonne, die von einem Augenblick zum nächsten schwarz wurde, wobei sie wie in Eruptionen gelbe Ringe um sich bildete. Tief verstört hatte ich Mühe, Einzelheiten wahrzunehmen, den knochigen Alten mit dem biblischen Gesicht, einen Blechnapf als Sonnenschutz auf dem Kopf, der einen kleinen Jungen vorsichtig am dürren Zweig des schwarzen Arms hält. Apathische Kindergesichter, andere noch mit erwartungsvoll leuchtenden Augen. Das Mädchen, das nur ein zerschlissenes Hemd trägt, ihre vorspringenden Beckenknochen, der entstellte Unterleib. Oranges Licht, schwarze Sonne. Im zweiten Feeding Center, einem ehemaligen Schulhof, empfing uns ein beißend säuerlicher Gestank, ein mit Plastikbändern umgrenzter Hügel voll gelblicher Flecken, auf dessen Spitze ein Fliegen umschwärmtes kleines Kind hockte und mit ängstlich schmerzverzerrtem Gesicht den Konvulsionen seines hunger- und durchfallerkranken Darmes folgte. Im Innern des Hofs lag eine Frau. Das Gesicht der rauen Rinde des Baumes zugewandt, unter dessen spärlichen Schatten sie neben sich ihre letzten Habseligkeiten ausgebreitet hatte. Stoffbündel, Becher, Topf, eine trockene Tierhaut, wie bereit zu einer Bestattunngszeremonie, die es hier jedoch gar nicht gab. Ausgedörrt, rasselnder Atem, trockener Mund, aufgesprungene Lippen, ihre nackte Brust hob und senkte sich leicht.

Kein Zweifel, dass ihr die mühseligste Arbeit auf Erden aufgebürdet war, die des Sterbens aus Hunger. Ein Gespensterkind mit kindlichem, von Hungerödemen entstelltem Gesicht, Arme und Beine Stöcke, die aus einem Sack mit dem sinnlosen Aufdruck Deutsche Post raus staksen. Eine Frau, die in den leblosen Körper eines Halbwüchsigen auf ihrem Rücken trug, so gespensterhaft leicht, dass sie ganz aufrecht ging, als liefe er neben ihr her.

Im schmalen Schatten des Torbogens der zerschossenen Bermuda Bar, Bar der Welt, ein unbeweglicher, wie gefaltetes schwarzes Skelett nackt, das unmöglich noch leben konnte, bis sich ich es die Kiefern öffnen sah, zwei Reihen strahlend weiße Zähne entblößend, worauf es mit hoher, körperloser Stimme zu klagen anhob, in den immer gleichen Worten, unablässig, seitdem es uns erblickt hatte. Es schmerzt, es schmerzt, es schmerzt, übersetzte Mohammad, mühsam sprechend. Vor dem Krankenhaus, neben seinen eisernen Toren, lag ein sterbendes Kind im Staub, um die Ecke im Schatten eines Wellblechs, vom Zaun zwei Meter entfernt. Eine sterbende Frau. Hörte beider unregelmäßigen, leise raschelnder Atem. Auf dem Krankenhaus Gelände Scharon als junger Mann. Der trieb eine hölzerne Schubkarre vor sich her, in der er Verhungernde transportierte, deren Lage noch nicht gänzlich hoffnungslos schien und karrte die vollständig Gestorbenen zum Leichenacker. Den Kragen hochgestellt, schlugen ihm die Stöße seines viel zu weit Militärmantels bei jedem seiner weit ausholenden Schritte um die Knöchel. Jenen Acker sahen wir auf der Rückfahrt nach Mogadischu, ein Feld der Massengräber mit Haufen weißer Steine aus zerbrochenen Häusern markiert. Endlos sich bis zum Horizont hinstreckend. Länger als eine Viertelstunde fuhren wir daran vorbei. Menschen sind wohl immer versucht, im Entsetzen eine Art Normalität aufrecht zu erhalten, und sei sie auch fiktiv. Kann man sie dessen zeihen? Doch der seltsamste aller Kollegen, die ich in Somalia traf, war jener, der gekommen war, um Graffitis zu fotografieren. Besonders die aus Kismayo fand er sehenswert.

 

Ich kam genau zu jenem Zeitpunkt nach Kismayo, als amerikanische und belgische Offiziere Verhandlungen mit einer versprengten Truppe von General Morgans Armee, dem Schwiegersohn von Barre, aufnahmen, die nach kurzen Kämpfen bei einem Dorf südlich von Kismayo festsaß. Von der ersten Begegnung an war ich zugegen und sah, wie amerikanische Offiziere und einige der somalischen Freischärler sich freudig staunend wiedererkannten. Die Amis hatten sie nämlich vor Jahren ausgebildet. Wilde, beeindruckende Gestalten waren darunter, zuerst von den Amis, dann von Russen, dann von Kubanern trainiert. Jetzt lebten sie bärtig, zerzaust, von Schlangen. Der wildeste von ihnen war aber ihr Kommandant, genannt Colonel Werah. Was bedeutet wilder Stier. Der sah ganz unscheinbar aus mit dem lächerlichen Mützchen auf dem Kopf, schmal und gebeugt, wie er dastand, auf sein Stöckchen gestützt, gelegentlich mit der kleinen Astgabel, die dem Fangen von Schlangen diente, in die staubige gelbe Erde wie zerstreut Linien ritzend. Nur ein gelegentliches heimliches Blitzen aus seinen blau- braunen Augen von unten herauf ließ erkennen, warum er diesen Kampfnamen trug. Die Treffen mit den Werah- Leuten fanden täglich statt. Die Amerikaner versuchten, Lebensmittel gegen Informationen zu tauschen, während der belgische Kommandeur am Sinn solcher Verhandlungen zweifelte. Er sagte: Das sind Mörder, was durchaus richtig war. Vor drei Tagen erst hatten sie im Dorf zwölf Leichen gefunden, deren Hände auf dem Rücken gefesselt waren.

Als ich durch das Dorf ging, sah ich neben Schlangenspuren im Staub des Weges zwei verlorene Holzsandalen und einige Schritte weiter eine Hose vom einfachsten Schnitt, wie sie Bauern trugen. Blutgetränkt. Aber traf jenes Wort Mörder nicht auch die belgischen Berufssoldaten? Freimütig und nicht ohne Stolz hatten sie berichtet, dass sie zu diesem Einsatz direkt aus Zaire gekommen waren, wo sie im Auftrag der Regierung eine Erhebung niedergeschlagen hatten. Panzer und alle anderen Fahrzeuge wurden weiß umgespritzt, mit dem UN- Symbol versehen und nach Somalia geschickt. Der belgische Kommandeur jedenfalls wollte kämpfen, seine moralische Überlegenheit beweisen.

Die Amis waren ruhige, gesetzte Kerle, mit denen ich gern Kaffee trank, außer zweimal am Tag zum Smalltalk rüber in den Busch zu den Insurgenten zu fahren. Mal mit einem Sack Reis, mal mit einem Sack Bohnen oder einem Karton mit Wasserreinigungs- Tabletten gab es nicht viel zu tun. Meist saßen wir unter der alten, knorrigen Akazie, die sie sich als Standort ausgesucht hatten, sahen den bunten, fremdartigen Vögel zu, die durch die Zweige schwirrten, betrachteten das Licht des Himmels und die Wolken und unterhielten uns. Sie gehörten zu einer Art Spähtrupp. Ihre Humvees, besonders groß und gepanzert, waren mit Elektronik, Satelliten, Funk- Chiffrier- und Dechiffrier- Computern vollgestopft, je Fahrzeug im Wert von einer Million Dollar, wie ihr Kommandant sagte. Zehn solcher Einheiten waren in Somalia unterwegs, auf der Suche nach versprengten Truppen und der Lage von Einflussgebieten.

Zwei Tage später, zwei Tage, in denen ich mich mehrmals gefragt hatte, ob ich nicht lange genug bei den amerikanischen Soldaten gewesen sei, in ihrer freundlichen Obhut. Ob das nicht schon langsam obszön sei, dröhnte wieder der Himmel. Über dem Schirm der Akazien erschien das schwarze Flugkoloss des Kampfhubschraubers, drehte seine Runde, landet auf dem bekannten Platz und stieß diesmal einen Schwarm Menschen aus. Leute mit Fotoapparaten, Filmkameras auf den Schultern, Mikrophonen an Stangen. Recht nervös wirkten sie, dem Kameramann rutschte sein Gerät ständig wieder von der Schulter. Die Jungs rannten hin. Aus Neugier und um sich nützlich zu machen. Sie sollten die Journalistenmeute auf ihren Jeeps zu Colonel Wera fahren. George bemühte sich um eine Dame ganz in Weiß, eine Lady im weißen Sari von der Indian Times, umwickelte sie von Kopf bis Fuß mit Tüchern, daß der rote Staub sie nicht einfärbe und verschlänge. Kurz bevor sie losfuhren, kam er angerannt. Willst du denn nicht mitkommen? Der macht eine Pressekonferenz, und du bist nicht dabei.

Jeden Tag bin ich da, wozu soll ich mich jetzt anlügen lassen, nur weil die dort gekommen sind? George kam, nachdem die Journalisten weggeschafft waren, mit aufregenden Neuigkeiten. Im Gegenzug für die Pressekonferenz habe Wera die Amerikaner ins Camp eingeladen, mit Übernachtung und allen Schikanen, für mehrere Tage.

Am gleichen Abend wurden die Belgier abgezogen. Die Amis fuhren ihre Späh- Jeeps hinter einen Hügel neben dem Dorfsee. Sie wollten sehen, was die anderen dort im Bush tun würden, wenn sie sich sicher fühlten. Standen mit Nachtsichtgeräten auf der Lauer, unterhielten sich nur noch flüsternd. Wir warteten lange. Vielleicht würde gar nichts geschehen. Ich betrachtete die vom Nachtsichtgerät wie von Irrlichtern grün aufleuchtenden Augen. Der Kommandeur drückte mir plötzlich seins in die Hand und wies nach vorne. Am Dorfeingang hatten Weras Leute ein Feuer entfacht, wohl zur Orientierung. Dann hörten wir Rufe, schon ziemlich nahe. Und kurz darauf Schritte auf der anderen Seite des Sees. Die Nerven eines der Jungs vibrierten so heftig, dass er sein Gewehr weglegen musste, da es angefangen hatte, in seinen Händen zu klappern. In Richtung Kismayo zog eine Kolonne on 50, 60 Mann, Schattenrisse gegen den Horizont. Deutlich war die kräftige Gestalt des großen schwarzbärtigen zu erkennen, der mit seinem Kraushaar wie ein Kubaner aussah. Einer der Offiziere, die am ersten Tag der Zusammenkünfte so überrascht und dann herzlich von ihren amerikanischen Ausbildern begrüßt worden waren. Jetzt sahen sie ihn mit Hilfe des Restlichtverstärkers wieder und waren beeindruckt. Hoch aufgerichtet ging er mit gleichmäßigem, weichem Schritt an der Spitze des Trupps. Die zum Bogen gespannte Rückenlinie und der leicht nach vorne geneigte Kopf verrieten, wie konzentriert er voraus ins Dunkel spähte. Er führte seinen Trupp nach Kismayo.

 

Die Amerikaner waren klug, denn sie hatten einen Plan. Für das große Zusammentreffen mit Werahs Leuten im Busch hatten sie ein Stabs Arzt eingeflogen. Er sollte die Kriege untersuchen und soweit wie nötig verarzten, hatte er sich doch immer wieder beklagt, wie schlecht es ihnen dort gehe, ohne sauberes Wasser und ausreichenden Lebensmitteln. Sie hätten Kranke. Der Arzt konnte möglicherweise den Zugang zum Camp erleichtern. Wir wurden im großen Stil empfangen. Eine ungewöhnlich große Versammlung erwartete uns. Nicht, dass sie sich besonders fein gemacht hätten, aber Werah als Chef eines corps diplomatique machte sich gut. Salbungsvolle Reden halten, das konnte er auch. Was jetzt? Irgendwie musste man sich ja näherkommen. Nachdem Sitzplätze improvisiert waren und wir saßen, hatte George eine Idee. Er rannte zu seinem Jeep, kramte etwas heraus und kam zurück mit einem Walkman. Den zeigte er Werah von allen Seiten, daß der nicht misstrauisch wurde, setzte ihm die Kopfhörer vorsichtig auf und legte eine Kassette ein. Werah lächelte glücklich und fragte charmant: für mich? Oh, danke! Säuerlich lächelnd erklärte ihm Georg, dass das sein eigener wäre, aber für die Zeit des Aufenthalts verleihe.

Werah legte den Kopf schief, als lausche er angespannt und es war deutlich zu sehen, wie er anfing zu denken. Leider konnte man nicht hören, was. Aber die Augen glommen. Was hast du ihm denn aufgelegt, wollte ich wissen. Bob Dylan. Das ist nicht dein Ernst. Doch, doch, wirklich. Und was hört er da gerade? Masters of War?

Das war ein wenig zu viel für Ironie war George undurchlässig. Jetzt trat Plan 2 in Kraft. Werah wurde ein Jagdausflug angeboten. Wie ihm gesagt wurde, um seiner hungrigen Truppe Fleisch zu beschaffen. Gab es hier Wild? Jede Menge. Wildschweine, Büffel und Digdigs, eine Art kleine Antilopen. Sehr schmackhaft, wie er versicherte, Werah könne sich einen Scout aus seiner Truppe mitnehmen und selber den Weg bestimmen. Das war ein Angebot, das er nicht ausschlagen konnte. Die Jungs fragten sich und ihren Kommandeur, ob das Spiel nicht zu weit ginge. Eine bessere Gelegenheit, die Gegend und mögliche Wege nach Kismayo auszukundschaften, könne er doch gar nicht bekommen. Schon, doch ihn mit solchen verlockenden Angeboten zu bestechen, ihn aufzuweichen, bis er mit Informationen über seine Truppenstärke und Bewaffnung rausrückte, sei das Risiko wert.

Kreuz und quer ging die Jagd unbekannten Wegen nach und durch weglosen, trockenen Busch. Überraschend, daß uns so weit entfernt von jeder Siedlung zuweilen jemand über den Weg lief. dann ließ Werah anhalten und zog Erkundigungen ein. Unter einem Baobab, an einer Wegkreuzung hatte jemand einen kleinen Laden eröffnet, zwei in die Erde gesteckte Stöcke, eine Stange quer darüber, von der ein doppelt Päckchen Omo hing, sonst nichts. Auf der Erde stand eine Waage. Wofür? Wer weiß? Wir hatten kaum gehalten, als ein Mann zu seinem Laden schritt, sich hinter der Stange niederließ und uns erwartungsvoll anschaute. Im Schatten des Baobabs lebten noch mehr Menschen. Im Dunkel einer aus Zweigen errichteten Hütte sah ich ein Kind, das offensichtlich Fieber hatte. Ich holte George hinzu. Der ging zum Stabsarzt. Es waren Diskussionen nötig und Georges entschlossenes Auftreten, der schlicht sagte, er habe auch eine Sanitätsausbildung. Er wurde böse und bekam ganz eckige Bewegungen, als er zum Arzt sagte, er werde jetzt den Koffer mit den Medikamenten holen, was er auch tat. Das Kind bekam eine Infusion, und der Mutter wurden Tabletten überreicht.

Plötzlich waren wir in einem etwas übersichtlichem Gelände und dort sahen wir Digdigs. Ich saß wie gewöhnlich neben George auf dem Humwee mit der Kanone, die er bediente. Ich schieße zuerst, sagte er und dann du. Er erlegt eines dieser schönen Tiere, sprang herab und zog sein Jagdmesser, mit dem er ihm die Kehle aufschnitt, um das Blut auslaufen zu lassen. Dann trug er den Kadaver zum Humwee und verstaute ihn in einer Art Kofferraum. Kurz darauf sahen wir ein weiteres Tier. Er gab mir das Gewehr und ich schoss. Das Digdig sprang kurz hoch, um dann umzufallen. Exzellent shot, rief George und reichte mir das Messer. Wir liefen hin, ich bückte mich und sah mich im Spiegel seiner großen, noch klaren Augen, wegen der Augenwölbung verzerrt wie durch ein Froschobjektiv. Sein Blut lief auf den Boden, nachdem ich ihm etwas mühsam die Kehle aufgeschnitten hatte. Am Abend gab es gegrilltes Digdig, wirklich sehr schmackhaft. Es reichte nur für die Offiziere, unsere eingeschlossen. Werah ließ Wachen aufstellen, dann legten wir uns schlafen.

 

Bei Sonnenaufgang des neuen Tages war ich auf den Beinen und streifte durchs Lager.

Zunächst kam ich an einen See mit milchigem Wasser. Ich hatte das Plätschern gehört, das von einem Kamel kam, das saufend am Ufer stand und dabei von einem Krieger gewaschen wurde.

Ein Mann gesellte sich zu uns, der mich auf Englisch ansprach und ausfragte. Wie sich herausstellte, war er einer von Werahs Offizieren, ein früherer Kaufmann aus Kismayo. Als ich ihm von meinen Eindrücken im Land, den zerstörten Dörfern und Brunnen, den versprengten und kranken Menschen erzählte, lachte er mich aus. Das ist nicht unser Problem. Das ist Aufgabe des Roten Kreuzes und all der Organisationen, wer immer helfen möchte. Wir sind Krieger. Wie lange wollte er Krieger sein, sein ganzes Leben? Es ist doch schon alles zerstört. Wir werden es sein, so lange wie nötig, wir müssen wieder haben, was uns gehört. Was ihr schon einmal hattet, wie habt ihr es denn verloren? Es war müßig. Es war ja auch so klar. Es ging nicht so sehr um die Dinge, die konnten später kommen. Es ging um Land, um Einflussgebiete. Doch vor allem ging es um Menschen. Was können Sie denn sonst beeinflussen? Wollen in Ihren Gebieten Menschen, die für sie arbeiten und ihnen folgen würden. Mohammads bittere Worte kamen mir in den Sinn, die er eines Abends sprach, als wir vor seinem Tor saßen, nach einem langen Tag in Flüchtlingslagern und Sterbecamps. Wir hatten Cafés! Wir saßen so oft, wie wir wollten nach der Arbeit am Meer, tranken, sprachen und lachten miteinander. Ja, der Diktator sollte weg. Doch wenn ich bedenke, was danach kam. Wir hatten keine Pläne, keine Ideen, wussten nicht wirklich, was wir für die Zukunft wollten. Wir haben geglaubt, nach der Diktatur kann alles nur besser werden. Und so haben die neuen Diktatoren die Tore weit offen gefunden und in ihrem Gefolge die Mullahs. Ob sie sich nun gegen den einen oder anderen Warlord stellen oder nicht, sie sind immer Trouble Maker. Und da ich ihnen von der Seite ansah, bekräftigte er Ja, sie sind Trouble Maker. Ein Freund von mir ist Mullah. Ich mag ihn sehr. Er hat meine Frau und mich verheiratet, aber auch ihm gehe ich mittlerweile lieber aus dem Weg.

 

Krieger sind keine Psychopathen. Bis auf Ausnahmen möglicherweise. Die blutgetränkte Hose. Die Holzsandalen auf dem Weg. Die zwölf gefesselten Leichen, die im Dorf gefunden worden waren, beschäftigten mich als eine ständige Frage, warum bringen solche wie die, wie der dort. Warum bringen Sie Bauern um? Was ist der Sinn? Es war aber einfach so, dass ich in den meisten Gesichtern nichts zu lesen vermochte. Anders übrigens als bei den Amys im Flugzeug, die wie hinter Masken waren. Masken, die allerdings auch nichts zeigen durften. Die Gesichter hier waren nicht nach außen abgeschottet. Die Männer unter den Dornenbüschen hatten eher etwas von einer Herde, die verdaute. Den Krieg, ihren Krieg, die abgeweideten Leben, ihre Niederlagen, erhoffte Siege. Gern hätte ich mit dem einen oder anderen gesprochen. Was ich heute Morgen am See zu hören bekommen hatte von jenem Mann auf Geschäftsreise sozusagen, konnte unmöglich alles gewesen sein. Right, man sagte Jussuf, der Kleinere meiner Gäste. Was du erzählst, kann niemand wissen, der nicht dort gewesen ist. Die Fotos hast du auch gemacht? Dann verabschiedeten sie sich mit von Tränen schwimmenden Augen und Umarmungen.

 

Durch die offene Tür schoss gleißendes Licht des neuen Tages. Erst als ich mich an das besorgte Gesicht eines Freundes erinnerte, daß ich beim Abschied schließlich entspannt hatte, wurde mir klar, was mir geblüht hätte, wäre ich in Ihren Augen ein Lügner geblieben. Eine kräftige Dosis Schläge. Ich trat hinaus, um zu sehen, wohin sie sich wandten. Doch die Straße, von den Rändern her sandüberweht, war weithin leer.

 


Kommentar schreiben

Kommentare: 0